Der „Schwarzwälder Bote“ veröffentlichte einen Artikel zum Thema Weihrauch bei Darmerkrankungen. Und zwar für eine Publikumszeitung einen erfreulich fundierten Artikel zudem. Hier ein paar Informationen daraus mit dazwischen geschaltetem Kommentar (kursiv):
„Ihr Revival verdankt die Dreikönigs-Gabe dem Tübinger Pharmakologen Hermann Ammon, der das Harz der indischen Boswellia serrata zu Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit modernen Methoden analysierte und Triterpensäuren als wirksame Substanzen identifizierte. Seiner Forschung zufolge hemmen sie das Enzym 5-Lipoxygenase, das bei der Bildung von Leukotrienen eine entscheidende Rolle spielt, Stoffen, die an der Entstehung von Entzündungen beteiligt sind. Seit neuestem untersucht an der Universität Jena Oliver Werz, Professor für Pharmazeutische Chemie, mittels des sogenannten Target-fishing, welche Enzyme sich an einen solchen „Köder“ aus Boswelliasäuren binden. Das ist moderne Grundlagenforschung im Labor, doch Werz arbeitet inzwischen auch mit einer Firma zusammen, die Weihrauchextrakte zum Cremen gegen Haut- und Gelenkbeschwerden anbietet.“
Kommentar M.K.: Die Hemmung von Leukotrienen (Entzündungsmediatoren) durch Boswelliasäuren stand lange im Zentrum der Weihrauch-Forschung. Die Wirkung lässt sich im Labor offenbar gut zeigen, doch ist ungewiss, ob Boswelliasäuren im menschlichen Organismus genügend hohe Konzentrationen erreichen, um diese Wirkung auszulösen.
Die Anwendung von Weihrauchextrakten in Form von Cremen bei Hauterkrankungen und Gelenkbeschwerden ist ein neueres Phänomen. Bei Hauterkrankungen (Schuppenflechte) könnte ich mir allenfalls eine Wirkung vorstellen, bei Gelenkerkrankungen zweifle ich stark daran, ob die Wirkstoffe in genügender Menge durch die Haut eindringen und bis ins Gelenk gelangen.
„In Weihrauchpräparate zum Einnehmen setzten in den vergangenen Jahren immer mehr Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen ihre Hoffnung. ‚Weihrauch gehört zu den Medikamenten, die viele unserer Patienten mit einer Colitis ulcerosa oder einem Morbus Crohn schon ausprobiert haben’, sagt die Magen-Darm-Spezialistin Britta Siegmund, die an der Berliner Charité eine Spezialsprechstunde für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen leitet.“ Allerdings sei die Datenlage zu diesem Phytotherapeutikum noch mager.
Zuletzt führte im Frühsommer dieses Jahres eine deutsche Multicenter-Studie, an der auch Patienten aus der Charité teilgenommen haben, zu eher ernüchternden Resultaten. Publiziert wurde sie im renommierten Fachblatt ‚Inflammatory Bowel Disease’. Die Studie, in der der Boswellia-serrata-Extrakt PS0201 Bo bei Patienten mit einem Morbus Crohn gegen ein Scheinmedikament getestet wurde, war zwar auf ein Jahr angelegt, wurde jedoch vorzeitig beendet, weil sich weder in der Krankheitsaktivität noch im subjektiven Befinden der Studienteilnehmer Unterschiede zwischen beiden Gruppen zeigten.
Quasi nebenbei ergab die Studie jedoch, dass das pflanzliche Mittel sicher ist, dass also keine schädlichen Nebenwirkungen zu befürchten sind. Bisher gebe es keine wissenschaftliche Grundlage dafür, Weihrauch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen gezielt einzusetzen, erklärt Siegmund und fügt hinzu: „Es spricht aber nichts dagegen, dass Patienten, die gute Erfahrungen damit gemacht haben, es einnehmen.“
Der Internist Henning Gerhardt, langjähriger Leiter der Colitis-Crohn-Ambulanz am Klinikum Mannheim, hörte von Boswellia serrata zuerst Mitte der neunziger Jahre durch eine seiner Patientinnen mit Morbus Crohn. Sie hatte sich Tabletten mit dem Trockenextrakt H 15 beschafft, die eine indische Firma produziert, und berichtete bei einer Arzt-Patienten-Runde, sie sei lange nicht so frei von Bauchschmerzen und Bauchkrämpfen gewesen wie seit dem Zeitpunkt, seit dem sie dreimal täglich das Weihrauchpräparat einnehme.
In Zusammenarbeit mit Gastroenterologen der Uniklinik in Wien testete die Arbeitsgruppe von Gerhardt den Extrakt H 15 erstmals in einer Doppelblindstudie, in der 102 Crohn-Patienten entweder Weihrauchextrakt oder den Entzündungshemmer Mesalazin erhielten. Der achtwöchige Vergleich ergab, dass das pflanzliche Mittel dem Standardpräparat nicht unterlegen war. Das könne nach dem Stand der Wissenschaft als Wirksamkeitsnachweis gelten. Die Ergebnisse stimmen Gerhardt zudem optimistisch, was andere Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis betrifft. Durch die Studie ermutigt, deren Resultate im Jahr 2001 in der Zeitschrift für Gastroenterologie publiziert wurden, setzt der Internist den Weihrauchextrakt, der in Deutschland als Importpräparat verschrieben werden kann, seitdem bei zahlreichen seiner Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ein – zusätzlich zur Standardbehandlung, zu der auch Cortison-Präparate zählen. Seiner Erfahrung nach kann die Cortison-Dosis dadurch in vielen Fällen vermindert werden.
„Die Forschung zu ‚natürlichen’ Heilmitteln für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen konzentriert sich derzeit auf andere Naturprodukte. So liefern inzwischen mehrere solide Studien Hinweise auf die Wirksamkeit eines Gebräus aus dem Schweinepeitschenwurm (Trichuris suis). Dem Wurm wird zugetraut, das Immunsystem zu einer Gegenreaktion zu bewegen. Sie könnte das selbstzerstörerische Krankheitsgeschehen bremsen, das Autoimmunkrankheiten wie Crohn und Colitis ulzerosa bestimmt. Eine Arbeitsgruppe im Münchner Uniklinikum Großhadern untersucht zudem gerade den Einsatz von Cannabisextrakt in Tablettenform beim Morbus Crohn.“
Quelle:
http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.medizin-weihrauch:-mehr-schall-als-rauch.4a9a2d87-d670-4af0-bf1e-56229353840e.html
Kommentar & Ergänzung:
Ein solcher Artikel ist in mancher Hinsicht nicht befriedigend, gerade weil er differenziert ist und widersprüchliche Fakten nicht ausblendet. Propagandabeiträge, die alles als super und eindeutig darstellen, sind demgegenüber im Vorteil.
Wir brauchen meines Erachtens in Bereichen wie Komplementärmedizin und Naturheilkunde, aber auch generell in unserer Gesellschaft, mehr Ambivalenztoleranz.
Damit ist gemeint, dass wir lernen müssen, mit Widersprüchlichkeiten und Uneindeutigkeiten umzugehen.
Es ist in allen Bereichen längst nicht so viel geklärt und eindeutig, wie uns das Propagandisten und Missionare aller Art weis machen möchten.
Der „Leitfaden Phytotherapie“ fasst die Datenlage zu Weihrauch & Colitis ulcerosa so zusammen:
„Bisher sind nur einige wenige Studien mit geringer Patientenfallzahl veröffentlicht worden, in denen Wirkungen mit hohen Dosen von Weihrauchextrakt erreicht wurden. Eine Metaanalyse mit 7 qualitativ geeigneten von insgesamt 47 verfügbaren Studien (zumeist aus dem indischen Sprachraum) folgerte, dass die Datenlage ermutigend, aber noch nicht ausreichend ist (Ernst E. BM). 2008; 337: a2813.“
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Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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